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Gesundheitsexpertin Dr. Bärbel Breyhan zur Corona-Pandemie

Folgenschwere Zeit für Kinder

Das Coronavirus hat sich inzwischen auf der ganzen Welt ausgebreitet. Zeitversetzt zu Europa sind auch in Ländern des globalen Südens Menschen daran erkrankt. Die Zahl der Infektionen steigt. Zwar zählen Kinder nicht zur Risikogruppe, sie sind aber durch die Krise besonders gefährdet. Warum das so ist und inwieweit das die Zusammenarbeit mit unseren Projektpartnern beeinflussen wird, erklärt Dr. Bärbel Breyhan, Gesundheitsexpertin im Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘.

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Frau Dr. Breyhan, das Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ unterstützt jährlich 1.800 Projekte in mehr als 100 Ländern. Wie sehr erschwert die derzeitige COVID-19-Pandemie die Arbeit ihrer Partner im Ausland?

Dr. Breyhan: Aktuell erreichen uns im Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ täglich zahlreiche Anfragen unserer Partner aus der ganzen Welt, deren Situation sich aufgrund der Corona-Krise verschärft und die mehr denn je auf Hilfe angewiesen sind. Eines ist allen Anfragen gemein: Es herrscht eine sehr große Verunsicherung und Angst, weil die Menschen überhaupt nicht einschätzen können, wie stark sich das Virus bei ihnen verbreitet und welche Folgen dies haben wird. In vielen Ländern, in denen wir Projekte unterstützen, sind mittlerweile Kontakt- und Ausgangssperren verhängt worden. Dadurch können einige unserer Partner ihrer Arbeit nicht mehr in dem Maße nachgehen, wie sie es gerne täten, oder müssen ihre Hilfe für die Menschen vor Ort komplett einstellen, zum Beispiel in Nepal, wo ein generelles Arbeitsverbot gilt. Andere Partner wiederum passen ihre Hilfe der Situation entsprechend an und verlagern den Schwerpunkt ihrer Arbeit, zum Beispiel auf Nahrungsmittelhilfen und Hygienemaßnahmen.

"Die Gefahr steigt, dass die Kinder im schlimmsten Fall ein zweites Mal ihre wichtigsten Bezugspersonen verlieren."

Wie sehr sind Kinder in ärmeren Ländern von dem Coronavirus betroffen?

Dr. Breyhan: Die bisherigen Erfahrungen mit dem Virus zeigen zwar: Kinder und Jugendliche erkranken sehr viel weniger an Covid-19 und überstehen die Infektion meist ohne größere Komplikationen. Sie haben eine andere Immunantwort als Erwachsene. Dies könnte ein Hoffnungsschimmer für die Gesellschaften in den Ländern des Südens mit einem großen Anteil an Kindern und Jugendlichen sein. Andererseits sind viele Kinder in diesen Ländern mangelernährt und haben der Infektion weniger entgegenzusetzen. Es ist schwer abzuschätzen, wie sich die Viruserkrankung direkt auf die Kinder auswirken wird. Eines ist jedoch klar: Wenn die Gesundheitssysteme am Rande des Kollaps stehen, fehlen die Ressourcen, um Kinder, die an anderen Krankheiten wie einer schweren Malaria leiden, zu versorgen. Diesen Umstand konnten wir schon 2015 bei der Ebola-Epidemie in Westafrika beobachten. Die Folge ist eine erhöhte Kindersterblichkeit. Große Sorgen bereiten mir und unseren Partnern auch die Länder, die stark von der Aids-Epidemie betroffen waren. Viele Kinder haben dadurch ihre Eltern verloren. Jetzt bedroht das Coronavirus die Großeltern, die sich häufig seither um die Kinder kümmern. Die Gefahr steigt, dass die Kinder im schlimmsten Fall ein zweites Mal ihre wichtigsten Bezugspersonen verlieren.

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Welchen Gefahren sind die Kinder noch ausgesetzt?

Dr. Breyhan: Wir beobachten in solchen Krisen immer wieder eine Zunahme von Gewalt gegen Kinder, eine Zunahme von Kinderehen und Kinderprostitution, sexuellem Missbrauch und Teenagerschwangerschaften.  Wenn Eltern ihren Job verlieren und ihnen dadurch die Lebensgrundlage wegbricht, steigt in den Familien der ökonomische Druck. Die Familien haben schlichtweg kein Geld mehr zum Leben, kein Geld für Essen. Diese Situation führt zu einer sozialen Gefährdung für die Kinder, denn in den Familien kommt es dann vermehrt zu Gewalt und Spannungen. Diese werden verstärkt, wenn die Familien die Häuser nicht mehr verlassen dürfen und auf engem Raum, oft ohne Rückzugsmöglichkeiten, für ungewohnt lange Zeit zusammenleben müssen. 

Die Schulschließungen in vielen Entwicklungsländern bringen weitere Probleme mit sich. Zum einen fällt für die Mädchen und Jungen das Schulessen, und damit häufig die einzige Möglichkeit am Tag etwas Warmes zu essen, weg. Zum anderen besteht die Gefahr, dass es zu einer langen Unterbrechung der Bildung kommt und die Kinder infolge des ökonomischen Drucks zum Lebensunterhalt beitragen müssen und nicht wieder zurück in die Schule gehen. Vor allem ältere Mädchen, die jetzt im Haushalt mithelfen müssen, laufen Gefahr, am Ende der Krise nicht wieder in die Schule zu gehen, sondern stattdessen zu Hause zu arbeiten. Einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind in Krisenzeiten Kinder mit Behinderung, Kinder von ethnischen Minderheiten, Kinder auf der Flucht und Kinder, die schon jetzt durch das System fallen wie Straßenkinder. Partner, die mit solch gefährdeten Mädchen und Jungen und ihren Familien arbeiten, brauchen eine besondere Förderung. 

"Die grösste Sorge der Menschen besonders in den Ländern mit einer Ausgangssperre ist, das tägliche Überleben der Familie zu sichern."

Wie hilft das Kindermissionswerk den Kindern in der Corona-Krise?

Dr. Breyhan: Unsere Expertise ist der Kindesschutz. Kinder vor Gewalt, sexueller Ausbeutung und Vernachlässigung zu schützen, darauf liegt der Fokus unserer Hilfe. In dieser Krise, die das Potenzial hat flächendeckend zu einer schweren Krise mit langanhaltenden Folgen zu werden, ist es wichtig, von Anfang an den Kindesschutz zu stärken und in die Hilfsmaßnahmen zu integrieren. Dies beginnt schon bei der Unterstützung mit Nahrungsmitteln und der medizinischen Versorgung.

Aber auch die langfristigen Folgen der COVID-19-Pandemie stellen eine große Gefahr für die Kinder dar. Wir beraten und unterstützen unsere Partner aktuell auf vielfältige Weise. Die größte Sorge der Menschen besonders in den Ländern mit einer Ausgangssperre ist, das tägliche Überleben der Familie zu sichern. Wie sollen Lebensmittel beschafft werden, wenn kein Geld vorhanden und die Arbeit verboten ist? Hier kann das Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ mit seinen Partnern helfen und etwa die Schulmahlzeiten den Familien nach Hause bringen. 

Der vermehrten körperlichen und psychischen Gewalt und der Zunahme von Stress und sexuellem Missbrauch in den Familien begegnen unsere Partner vor Ort mit einer engen Begleitung und Beratung der Familien. Dazu zählen beispielsweise digitale Gesprächsangebote via Internet und Telefon, um den Stress und die existenziellen Sorgen der Eltern abzufedern und die Kinder somit zu schützen. Unser Ziel ist es zudem, die Bildung der Mädchen und Jungen während der Corona-Krise bestmöglich zu sichern, unter anderem mit digitalen Schulangeboten. Und ein weiterer nicht zu unterschätzender Punkt ist die Aufklärung über das Virus. Die Angst vor Corona ist riesig. Falschinformationen und Mythen, die rund um das Virus in vielen Ländern existieren, schüren diese Angst und erschweren die Eindämmung. Daher ist Aufklärung, beispielsweise über korrekte Verhaltensmaßnahmen zur Verhinderung einer Ansteckung, ein wichtiger Bestandteil der Arbeit unserer Partner.


Wie wird sich die Situation in den Ländern des globalen Südens in den nächsten Monaten entwickeln?

Dr. Breyhan: Das ist sehr schwer zu sagen und hängt auch maßgeblich davon ab, welche politischen Entscheidungen die Regierungen in den einzelnen Ländern treffen. Länder, die einem klaren Präventionsplan folgen, wird es vermutlich nicht so schwer treffen, wie Länder, die keine Kontakt- oder Ausgangssperren verhängen. Diese können aber nur wirksam werden, wenn den Bedürfnissen und Nöten der Bevölkerung Rechnung getragen wird. Menschen, die hungern, lassen sich nicht einsperren. Sie werden versuchen, ihre Familien zu ernähren. Hier müssen entsprechende Hilfsleistungen von Anfang an integriert werden.

Entscheidend ist, dass wir die Menschen – und vor allem die Kinder – in dieser Pandemie nicht alleine lassen, ihnen beistehen und unsere Partner bei ihrer Arbeit vor Ort bestmöglich unterstützen. 

Das komplette Interview als Dokument sowie Foto- und Audiomaterial gibt's im Pressebereich zu finden.

So geht es unseren Projektpartnern

Menschen auf der ganzen Welt haben mit dem Coronavirus zu kämpfen - auch unsere Projektpartner. Die Meisten können ihre Arbeit nicht mehr weiterführen wie bisher. Sie würden sonst andere gefährden. Manche haben aber auch einen Weg gefunden, während der Corona-Krise ihre wichtige Aufgabe auf andere Weise fortzusetzen.

So geht's weiter : So geht es unseren Projektpartnern